„So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung, so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.“ (1784)
„Die Selbständigkeit, mit der es handelt, schließt jede fremde Einwirkung aus; und nicht insofern sie beim Denken hilft (welches einen offenbaren Widerspruch enthält), bloß insofern sie den Denkkräften Freiheit verschafft…“ (1793-95)
Friedrich Schiller
Das Demokratie-Paradoxon
Die größte Gefahr für die Demokratie, so scheint es, geht von ihr selbst aus: Sie kann sich selbst zerstören. Gegen dieses Paradoxon sind auch Verfassung und Gesetze machtlos. Die Erfolge von demokratie-feindlichen Politikern an den Wahlurnen bei uns und in anderen Ländern zeigen, dass diese Gefahr real ist. Wenn wir unsere Bemühungen um Demokratie bloß auf die Forderung nach strukturellen Veränderungen beschränken und den Menschen außer Acht lassen, kann Demokratie in Diktatur umschlagen.
Wir Menschen leben in einem Zwiespalt. Wir wünschen einerseits mehr Demokratie, aber andererseits übersteigen die Anforderungen eines demokratischen Zusammenlebens oft unsere Fähigkeiten und können uns Angst machen. In der Demokratie zu leben bedeutet, dass die Menschen sich mit den Problemen und Konflikten selbst auseinandersetzen und sie zu lösen versuchen und diesen Prozess nicht anderen überlassen können. Es bedeutet oft eine anstrengende Auseinandersetzung mit anders denkenden Menschen.
In der Hoffnung, sich von dieser Anstrengung zu entlasten, wünschen wir uns oft strengere Gesetze. Aber mit jedem Gesetz schränken wir die Freiheit und die Gleichheit ein, die wir uns eigentlich wünschen. Wir haben schon jetzt mehr Gesetze, als wir kennen und befolgen können und als das Rechtssystem bei allen Menschen durchsetzen kann. Die Vermehrung von Gesetzen führt auch zu mehr Ungleichheit, als eine Demokratie auf Dauer aushalten kann. Während für den Durchschnittsbürger die Freiheiten der steigenden Zahl von Gesetzen abnehmen, können finanziell gut reiche Bürger mit Hilfe von teuren Rechtsanwälten ihre Freiräume oft noch ausweiten.
Aber auch wenn wir perfekte Gesetze hätten, könnten diese uns nicht vor Problemen und Konflikten bewahren. Dies mussten auch die Ausbildungsoffiziere erkennen, denen ich im Auftrag des Generalinspekteurs der Bundeswehr zeigen sollte, wie man bei Soldaten/innen die Fähigkeit zum Denken und Diskutieren fördert. Sie bekundeten anfangs Zweifel, ob es notwendig sei, Soldaten darin auszubilden. Ihre Entscheidungen seien doch allein durch Befehl und Gehorsam bestimmt. Als ich ihnen die Geschichte von einem Soldaten erzählte, der eine schwierige Entscheidung zu treffen hatte, und sie fragte, ob er richtig gehandelt habe, ließen ihre Befehle sie aber im Stich: Sie begannen sofort heftig zu diskutieren. Nach diesem Erlebnis waren sie hoch motiviert zu lernen, wie man die Fähigkeit zum Denken und Diskutieren fördert.
Mehr lesen: Zeitschrift “Lehren und Lernen”, Herbst 2018